Den eigenen Tod um 50 Jahre überlebt

100 Jahre ist es genau her, dass auf den Schlachtfeldern Europas der Erste Weltkrieg tobte. Die tatsächlichen Kampfhandlungen dauerten vom 4. August 1914 bis zum 11. November 1918, exakt 1.560 Tage. In der Folge fielen oder starben 9,5 Millionen Soldaten. An jedem einzelnen Kriegstag kamen durchschnittlich 6.090 Menschen ums Leben, vier pro Minute.

Unendlich viel Leid kam über Millionen Familien. Vereinzelt gab es aber auch Glücksmomente. Ein solcher, der eine Windacher Familie betraf, soll hier in Erinnerung gebracht werden.

Der Veteranen- und Kameradenverein Windach-Hechenwang, der sich auch die Bewahrung der Dorfgeschichte „auf die Fahne“ geschrieben hat, rief im Mai 2017 ein Sterbebildprojekt ins Leben. Im Rahmen eines Bildervortrags aus der Veranstaltungsreihe „d’Windacher G’schicht“ wurden einige Sterbebilder präsentiert und der Vereinsvorsitzende Manfred Stagl erklärte Inhalt und Umfang des Projekts. Als das Sterbebild von Narziss Giggenbach (vermeintlich gefallen am 18. Februar 1915 in Frankreich) gezeigt wurde, meldete sich ein älterer Zuhörer zu Wort und behauptete: „Der ist ja gar nicht gefallen, den habe ich noch viele Jahre gekannt!“

Narziss Giggenbach

Dieser Hinweis animierte Gerhard Heininger, Schriftführer des Vereins und Archivar der Verwaltungsgemeinschaft Windach, zu weiteren Recherchen:

Narziss Giggenbach wurde am 20. Januar 1882 in Unterwindach (Hausnummer 6) als Sohn von Walburga und Mathias Giggenbach geboren. Sein Beruf wird in den militärischen Aufzeichnungen mit Glaser angegeben. Ab dem 21. Lebensjahr leistete er für zwei Jahre seinen Wehrdienst.

Am 6. August 1914, nur vier Tage nach der Mobilmachung, wurde er einberufen. Bereits eine Woche später nahm er an seinem ersten Gefecht im Elsass teil. Weitere Schlachten in Lothringen folgten. Am 18. Februar 1915 wurde er in Bois d`Ailly (Aillywald) schwer verwundet: Durch Granatsplitter wurden seine linke Hand, der linke Unterarm und das linke Knie, durch einen Kieferschuss seine linke Wange stark verletzt. Eineinhalb Jahre verbrachte er in Lazaretten in Vigneulles, Metz, St. Ottilien und München. Die sechs Wochen in St. Ottilien dürften die schönste Zeit für Narziss gewesen sein, da er nur drei Kilometer von seiner Familie entfernt war. Am 31. Dezember 1916 wurde er aus der Armee entlassen.

Durch ein Versehen wurde statt seiner Verwundung sein Tod in die Heimat gemeldet. Sterbebilder wurden gedruckt, die Lokalzeitung meldete seinen Tod und in den Kriegsstammrollen des Königreiches Bayern wurde er als gefallen vermerkt.

Wie kam es zu dieser Verwechslung?

Ein gefallener Kamerad wurde mit der Jacke von Narziss Giggenbach zugedeckt, in der sich dessen Erkennungsmarke befand.

Am 17. Dezember 1964, fast 50 Jahre später, verstarb er dann wirklich an Kreislaufversagen.

Von Heinrich Winterholler, ehemaliger Pfarrer von Windach, stammt folgende Aufzeichnung über Narziss Giggenbach: „War ein Naturtalent und ein kleines Genie. Verstand als einer der ersten im Dorf, technische Dinge zu machen und zu reparieren. Wurde bereits im 1. Weltkrieg für tot gemeldet. Sterbebilder waren gedruckt. Am Tag des Requiems kam die Botschaft, dass er lebe. War arm und fromm, wie ein Hirte im Stalle zu Bethlehem.“

Narziss Giggenbach war nie verheiratet. Als Verwandter der damaligen Bäuerin von Hausnummer 10 (jetzt Kreitner) in Unterwindach bewohnte er dort zwei Zimmer über dem Rossstall. Eins nutzte er als Schlafzimmer, im anderen richtete er sich eine Werkstatt ein. In dieser hatte er alle möglichen Werkzeuge, auch eine Handbohrmaschine mit großem Schwungrad. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Knecht auf dem Bauernhof. Im Sommer war seine Haupttätigkeit Torf aufrichten zum Trocknen, eine ungeliebte, schwere und schweißtreibende Arbeit, bei der man auch noch ständig durch Mücken und Bremsen belästigt wurde.

Landsberger Tagblatt vom 20. November 2017.